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Ganz normale Interaktionen

Projekt holt Kunstszene in die Lebenswelt geistig Behinderter

Bei meiner Ankunft im Förderbereich der Werkstatt für behinderte Menschen des Lebenshilfe e.V. kommen Thomas und Florian gleich auf mich zugestürmt, um mich zu begrüßen. Thomas trägt meinen Rucksack und Florian zeigt mir, wo ich Paul Ziolkowski, seinen Betreuer, finde. Dieser hat gemeinsam mit Enrico Meyer ein Kunstprojekt mit geistig Behinderten ins Leben gerufen, das einen besonderen Ansatz verfolgt.

Florian und Thomas zeigen nun ihre Kunstwerke, die sie gemeinsam mit zwei Künstlerinnen entwickelt haben. Florian hat viele Kleinformate gestaltet und Thomas ein sehr groß dimensioniertes, abstraktes und farbenfrohes Gemälde. Franziska erzählt, dass ihr Vater bei der Ausstellungseröffnung Musik gemacht habe. Er spielt Oboe beim MDR-Sinfonieorchester und hatte noch zwei Kollegen mitgebracht. Thomas‘ Opa war auch dabei und Janet muss heute zum Zahnarzt. Paul Ziolkowski gießt unterdessen Kaffee ein. Er arbeitet im Förder- und Betreuungsbereich der Werkstatt des Lebenshilfe e.V. als Heilerziehungspfleger und betreut eine feste Gruppe mit neun erwachsenen geistig Behinderten. Außerdem ist er Mitglied der Galerie D21 in Lindenau und hat Enrico Meyer, der mittlerweile auch eingetroffen ist und freudig von der Gruppe begrüßt wird, beim Vorbereiten und Kuratieren der Ausstellung „L’enfer c’est les autres“ im vergangenen Herbst assistiert. Enrico Meyer studierte Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, konzentriert sich aber mittlerweile auf die Kunstvermittlung. 2010 bis 2014 hat er beim Durchblick e.V., einer Interessengemeinschaft Psychiatriebetroffener, gearbeitet und dort die WEIßCUBE Galerie ins Leben gerufen. Hier wurden Arbeiten ausgestellt, die von den Durchblick-Künstlern gemeinsam mit etablierten Künstlern entwickelt wurden.

Paul betreibt seit zwei Jahren einen Kunstzirkel in der Behindertenwerkstatt. Er besuchte Ausstellungen der WEIßCUBE Galerie von Enrico und kam irgendwann zu dem Schluss: „Das ist mein Mann.“ Als sich die beiden einmal im Supermarkt trafen, schlug Paul Enrico vor, die WEIßCUBE-Idee auf Behinderte zu übertragen. Ursprünglich wollten die beiden Bilder ausstellen, die in Pauls Kunstzirkel entstanden, merkten dann aber, dass ihnen das nicht ausreicht und sie den Fehler gemacht hätten, der in ähnlichen Projekten immer wieder gemacht wird: eine Ghettoisierung der marginalisierten Gruppe. Sie orientierten sich hierbei an dem verstorbenen Künstler Christoph Schlingensief, der häufig kritisierte, dass Außenseiter zwar gern Kunst machen und präsentieren dürften, aber immer unter sich blieben.

Die Projektförderung lief über Verein D21 Kunstraum Leipzig, wo die Ausstellung dann auch stattfand. Es wurden Förderanträge bei der Stadt Leipzig und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen eingereicht und bewilligt. Enrico Meyer kümmerte sich auch um die Akquise der Künstlerinnen und Künstler. Mit den meisten hatte er schon für die WEIßCUBE Galerie zusammengearbeitet. Dabei achtete er darauf, dass nicht nur Malerei, sondern auch andere Medien vertreten sind. [...]

[Florian Dorst, Anita Dittmann, Paul Ziolkowski, Thomas Bramer und Enrico Meyer (v.l.n.r.) vor dem expressiven Gemälde von Tine Günther und Thomas Bramer Foto: Enrico Meyer]