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Der Boden unter unseren Füßen

Die Gehwege, die uns durch die Stadt führen, sind meist unauffällig: Betoniert eben, manchmal mit Pflastersteinen und Platten belegt, sie machen nicht viel von sich reden. Funktional müssen sie sein, wir wollen uns mit Schuhwerk aller Art auf ihnen fortbewegen, im Bedarfsfall auch mit High Heels. So ist es in den meisten Städten. In Leipzig verhält sich die Sache ein wenig anders.

Text: Annemarie Pumpernig & Foto: Alicia Müller

Ich zog vor zweieinhalb Jahren nach Leipzig.
Klingt nicht besonders spektakulär, oder? Neue Stadt, neue Wohnung, neue Umgebung, neue Sprache. Und in meinem Fall: neue Untergründe. Meine Leipziger Zeit begann, das kann ich rückblickend sagen, in mehrerlei Hinsicht holperig. Ich stolperte in mein neues Leben buchstäblich hinein.

Mir wurde klar: Wenn du in Leipzig unterwegs bist, bleibe immer schön am Boden. Mit dem Blick jedenfalls! Dieser Erkenntnis gingen einige einprägsame Erfahrungen voraus. In der ersten Zeit lebte ich gefährlich. Nicht einmal die kurze Distanz von unserer Wohnung in der Harkortstraße über den Floßplatz in die Karl-Liebknecht-Straße vermochte ich sozusagen en passant zurückzulegen. Schon die erste Teilstrecke erwies sich als Herausforderung, denn Fußgänger sind auf dieser viel befahrenen Verkehrsader eigentlich nicht vorgesehen. Das erkennt man an den eigenwilligen Ampelphasen, deren Schaltalgorithmus an ein Hütchenspiel angelehnt zu sein scheint. Es galt also, das Zeitfenster zu nutzen, an dem die vom Zentrum kommenden Autos nicht mehr und die in die Gegenrichtung strebenden noch nicht fahren dürfen. Nichts wie rüber! Das mache ich auch heute noch so.

Dieser kleine Exkurs dient lediglich der Vollständigkeit, zumal der Boden, über den mich diese erste Etappe führte, für mich keineswegs ungewohnt war: platter Asphalt. Kaum aber war das rettende andere Straßenufer erreicht, begrüßte mich der Hindernisparcours des Floßplatzes. Hier stieß ich auf trotzig emporgereckte, in ausgefallenen Posen erstarrte Betonfragmente, einbetonierte Baumwurzeln, die ihren baldigen Sieg über ihre vermeintlichen Bezwinger durch hübsch gekräuselte, teilweise aufgesprungene Asphaltwellen ankündigten, harmlos glänzende Pfützen, die sich als heimtückische Tiefbohrungen erwiesen, und scheinbar absichtslos herumbröselnde Pflaster- und sonstige Steine aller Art. Also eine verwahrloste Ödnis, verkommen und trist? Weit gefehlt: Wie überall in Leipzig wurden auch die am Floßplatz klaffenden Belagswunden durch hingebungsvoll eingesetzte Intarsien gelindert, ja fast in Szene gesetzt, an Stellen, an denen man es am wenigsten vermuten würde. Keine Lücke zu klein, um geehrt zu werden. [...]