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Ein Amerikaner in (Klein-)Paris

Der große Lyriker William Carlos Williams als Student an der Pleiße

Unser Autor Elmar Schenkel hat sich wieder einmal einer Persönlichkeit von einst gewidmet, die oft von weit her kam und deren Biografie auch Jahre in Leipzig enthielt. Später wurden sie nicht selten international bekannt – ob als Schriftsteller, Künstler, Philosophen oder Politiker. Heute soll es um einen amerikanischen Dichter der Moderne gehen.

Text: Elmar Schenkel

Mittags gehe ich gern in der Münzgasse essen. Die meisten, die dort mit mir thailändisch speisen, ahnen gar nicht, dass im selben Gebäudekomplex einst ein großer amerikanischer Lyriker wohnte, der wie kaum ein anderer den Modernismus jenseits des Atlantiks begründete. Nicht den schwierigen, bildungslastigen Modernismus eines Ezra Pound oder T.S. Eliot, sondern eine sehr bodennahe, alltagstaugliche Form von Dichtung. Vor allem auch gesättigt mit den Realitäten Amerikas. William Carlos Williams (1883–1963) schrieb, unter dem Einfluss von James Joyce, mit „Paterson“ ein Hauptwerk: In der Nähe der Stadt Paterson, in Rutherford auf New Jersey, wurde er geboren und hier verbrachte er als Kinderarzt den größten Teil seines Lebens.

1909–1910 jedoch zog es ihn in die Weite, und die hieß nicht nur London oder Europa, sondern auch Leipzig. Hier wollte er ein Jahr Medizin, insbesondere Kinderheilkunde, studieren, da Leipzig einen großen Ruf darin hatte. An seinen in Rom lebenden Bruder Edgar, der Architekt wurde, schrieb er in dieser Zeit Briefe aus Leipzig, die uns einiges über sein Lebensgefühl und das der Stadt mitteilen. Im August 1909 kommt er dort an und berichtet gleich, wie schlecht gekleidet die Männer und Frauen der Stadt seien. Große Füße und fieser Blick die Männer, Frauen eher mütterlich und stark gebaut, aber freundlich. Die Männer schauen immer unzüchtig auf die Kurven der Frauen, die Amerikaner, meint er, täten das indirekter. Die unzähligen Biergärten fallen ihm auf, das würde ihm heute auch noch gefallen. Manchmal geht er Sonntag nachmittags tanzen. Das Land als solches erscheint ihm unter großen Druck zu stehen; man fürchte viele Feinde von außen. Angst sei überall spürbar und der Wille, die Angst durch militärische Mittel zu überwinden. Vier Jahre später sollte der Erste Weltkrieg ausbrechen. Williams wohnt in der Münzgasse 22/1 und besucht unter anderem Kurse bei dem berühmten Professor Heinrich Curschmann, nach dem auch eine Straße in Leipzig benannt ist. (Curschmann sollte wenige Wochen nach Williams‘ Abreise sterben). Neben der Pädiatrie studiert er Anglistik, insbesondere geht er in Vorlesungen über das moderne Englische Drama bei einem amerikanischen Lektor (Lehre Dantzler). Er schreibt in dieser Zeit nämlich selbst an einem Drama, und zwar über Kolumbus. Daher liest er auch intensiv Schiller und übt sich im Deutschen. Allerdings bleibt er auch der Poesie treu. Am 12. Dezember 1909 besucht er Grimma und Nimbschen, wo „Luther, der alte Haudegen, nachts in ein Nonnenkloster eingebrochen ist und seine Braut durch ein Fenster entführt hat.“ Daraus wird dann ein Gedicht über Grimma, die Mulde, Martin Luther und Katharina von Bora. Auch in anderen Gedichten, allerdings indirekter, wird man Erinnerungen an Leipzig finden. [...]