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Die Lücke im System füllen

Der so genannte Offene Dialog ist ein alternativer Behandlungsansatz in akuten psychischen Krisen und bildet die Grundlage des gleichnamigen Leipziger Vereins in der Südvorstadt. Er begleitet Krisen im gewohnten häuslichen Umfeld und bezieht das soziale Umfeld in die Gespräche mit ein. Dabei versucht er Klinikeinweisungen und Psychopharmaka, wenn möglich, zu vermeiden. Die KiPPE sprach mit der Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Therese Kruse, die den Verein nach langem Vorlauf 2016 mitgegründet hat.

Interview: Sandy Feldbacher & Foto: Offener Dialog e. V.


KiPPE: Welche Grundidee steckt hinter dem Offenen Dialog e. V.?
Therese Kruse: Der ursprüngliche Gründungsgedanke war, dass wir nicht zufrieden damit sind, wie derzeit mit Menschen in psychischen Krisen umgegangen wird. In solchen Zuständen greift in der Regel die Psychiatrie, und wie dort häufig mit Patientinnen und Patienten umgegangen wird, ist inakzeptabel. Zum Beispiel gibt es kaum Gesprächstherapien und das Umfeld wird nicht einbezogen. Unsere Kritik richtet sich vor allem gegen Menschenrechtsverletzungen, die hierzulande gängig sind und wofür Deutschland auch von internationalen Gremien sowie der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention kritisiert wird: Zwangsmedikation, unnötige riskante Eingriffe, Verschreibung von für bestimmte Krankheitsbilder nicht empfohlene Medikamente oder Therapien bis hin zu Fixierungen. Wir haben aus unterschiedlichen Richtungen Psychiatrie-Erfahrungen – manche von uns, wie ich, haben dort gearbeitet, manche haben dort Angehörige begleitet. Bei der Gründung sind dann auch Betroffene dazu gekommen. Das heißt, von Anfang an war der Verein ein bunt gemischtes Team aus Profis und Betroffen. Auch was die Qualifikationen angeht, kommen wir aus ganz unterschiedlichen Richtungen: Psychologie, Sozialarbeit, Ergotherapie, Psychotherapie, und Paarberatung.

Später kamen neben der Krisenbegleitung weitere Angebote dazu. Welche sind das?
Wir bieten heute zusätzlich Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung an. Das ist eine von den teilhabeleistungsgewährenden und -erbringenden Ämtern und Trägern unabhängige Beratungsmöglichkeit. Die können wir anbieten, wenn keine akute Krise vorliegt und es Fragen zu Anträgen, Lebensgestaltung, Wohnen usw. gibt. In Leipzig gibt es noch zwei weitere. Wir sind jedoch sogar deutschlandweit die einzigen, die ihren Schwerpunkt auf unsichtbaren Behinderungen, also Psyche hat. Aber auch im Bereich körperlicher und geistiger Behinderungen sind wir fit.

Darüber hinaus gibt es schon von Anfang an regelmäßig stattfindende, aber unabhängige Selbsthilfegruppen zu verschiedenen Themen bei uns wie auch ein Assistenz-Café, wo sich Assistenznehmende und -gebende treffen und austauschen. Der letzte Baustein ist, dass wir auch Weiterbildungen für Fachkräfte und Betroffene durchführen, z. B. zum Offenen Dialog. [...]