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Messe-Rauschen im Äther

Leipzig zu Beginn der „Goldenen 20er“

Nein, mit den Zwanzigern ist nicht die jetzige Dekade gemeint. Und ob sie golden wird, ist höchst zweifelhaft. Corona, Klima, Kriege … Was kommt noch? Wir wissen es nicht. Sicher ist, was vor hundert Jahren passierte – so auch in Leipzig. Nach Krieg, Revolution, Versailler Vertrag und Beginn der Weimarer Verfassung muss die Messestadt ihren neuen Weg finden. Es scheint auf Stabilität hinauszulaufen. Doch sie ist brüchig …

Text: Björn Wilda & Bildquelle: Stadtgeschichtliches Museum


Das Jahr 1920 beginnt alles andere als friedlich, obwohl seit anderthalb Jahren Frieden herrscht. Allerdings ein „Diktatfrieden“, wie die deutsche Bevölkerung den Vertrag von Versailles empfindet. Im März 1920 kommt es zum Kapp-Putsch reaktionärer Reichswehrangehöriger, die die junge Weimarer Republik abschaffen und sich nicht mit der Kriegsniederlage abfinden wollen. Ein Bürgerkrieg steht vor der Tür. Und es wird gekämpft, geschossen, getötet. In Leipzig steht am 19. März das Volkshaus in Flammen, nachdem es von Reichswehr und Zeitfreiwilligen mit Artillerie und Granatwerfern beschossen, geplündert und in Brand gesetzt wurde. Die Feuerwehr wird behindert. In der Innenstadt kommt es zu Straßenkämpfen mit aufständischen Arbeitern. Barrikaden gibt es u.a. in der Münzgasse, Schützenstraße, Karl-Heine-Straße/Nonnenstraße.
Doch so schnell wie der Putsch ausbricht, so schnell fällt er wieder zusammen, weil die Bevölkerung hinter der Reichsregierung steht, die Putschisten uneins sind und ein Generalstreik sein Übriges tut.
Ruhe und Ordnung müssen wieder her. Die glaubt man in Sachsen und so auch in Leipzig im Sommer des gleichen Jahres mit der Aufstellung einer „Hilfspolizei“ bewerkstelligen zu können. Die „Grünen“, wie sie von der Bevölkerung wegen der Uniformfarbe genannt werden, erweisen sich als ein bunt zusammengewürfelter, undisziplinierter Haufen, kaserniert an der Hallischen Straße. Er zeigt wenig Skrupel, gegen vermeintliche Staatsfeinde vorzugehen. Also verfügt die Landesregierung im September 1920 die Auflösung der Hilfspolizei, stattdessen wird die „Landessicherheitspolizei“ geschaffen. Im Grunde genommen ein Etikettenschwindel, denn mit Landessicherheit hat diese Truppe so wenig zu tun wie ihre Namensvorgängerin. Brutal geht sie im März 1921 gegen Arbeiter vor, es gibt Tote und Verwundete. Am 1. Mai 1922 folgt ihr Einsatz gegen rund 80 000 Versammelte auf dem Augustusplatz. Am gleichen Ort kommt es am 6. Juni 1923 zu einer Versammlung von ca. 2 500 Arbeitslosen, die Polizei greift zur Waffe, am Ende sind unter den Toten sechs Demonstranten und ein Polizeibeamter zu beklagen, über 20 Demonstranten werden schwer verletzt.

Es folgt eine Zeit relativer Stabilität und neuen Aufschwungs für die Messestadt. Letzteres hat sich bereits mit weiteren Eingemeindungen gezeigt, denn seit 1920 gehören nun auch Leutzsch, Paunsdorf und Wahren zum Stadtgebiet. Weitere Vororte werden folgen. Die Bevölkerung wächst von 620 000 Einwohnern (1920) auf fast 680 000 (1925). Und das Messegeschehen nimmt wieder Fahrt auf. Dabei erweisen sich die Leipziger als äußerst findig, um die Attraktivität zu erhöhen. 1922 verkehren zwischen Mockau (da ist an den Flughafen Schkeuditz noch nicht zu denken) und der Technischen Messe unweit des Völkerschlachtdenkmals Junkers-Flugzeuge, was wir heute wohl als Shuttle-Service bezeichnen würden. Als sich Reichspräsident Friedrich Ebert 1923 zum Messebesuch ankündigt, wird Mockau kurzerhand zum Weltflughafen deklariert. Damit nicht genug kann ab 1926 während der Messezeiten Leipzig auch nachts angeflogen werden. [...]