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„Erst erwirtschaften, dann verteilen ...“

Interview mit Christian Lindner (FDP)

Im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Anlass also, die im Parlament vertretenen Parteien nach ihren Standpunkten und kommenden Strategien zu befragen. Außerdem: Welche wichtigsten Aufgaben sind anzupacken? Weiter geht es in unseren Gesprächen, diesmal mit Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP. Die Interview-Reihe ist eine gemeinsame Aktion mehrerer Straßenzeitungen in Deutschland. Die Initiative dazu ging dankenswerterweise von der Hinz&Kunzt, dem Hamburger Straßenmagazin, aus.

Interview: Annette Bruhns & Fotos: © Thomas Meyer/Agentur OSTKREUZ


Hinz&Kunzt: Herr Lindner, Sie besitzen einen Porsche, eine Rennfahrerlizenz und einen Jagdschein, sind also ein gemachter Mann. Wir 20 Straßenzeitungen glauben, dass Sie trotzdem etwas mit obdachlosen Menschen gemein haben. Raten Sie mal, was.
Christian Lindner: Das Wort „gemachter Mann“ finde ich rätselhaft, denn es klingt für mich nach dem Zutun von anderen. Tatsächlich bestreite ich seit meinem 18. Geburtstag meinen Lebensunterhalt selbst, geschenkt hat mir niemand etwas.

Wir dachten an Folgendes: Viele wohnungslose Menschen beziehen staatliche Grundsicherung, Sie leben seit Ihrem 22. Lebensjahr von staatlichen Diäten. Allerdings reichen die Ihnen nicht: Sie haben allein in dieser Legislaturperiode mehr als 400 000 Euro dazu verdient. Wohlfahrtsverbände finden den Hartz-IV-Regelsatz auch zu niedrig und fordern eine Aufstockung auf 600 Euro. Gehen Sie da mit?
Mir können Sie solche zugespitzten Fragen gerne stellen. Aber auch eine Polizistin oder ein Krankenpfleger beziehen ihre Gehälter aus öffentlichen Mitteln. Es führt nicht weiter, wenn jede Tätigkeit, die sich aus Steuergeldern finanziert, mit Sozialleistungen verglichen wird. In der Sache bin ich dafür, dass sich die Höhe der Grundsicherung daran orientiert, welche Bedürfnisse bestehen und wie die Preise sich entwickeln. Das sollten Fachleute festlegen, das ist nichts für Wahlkampfversprechen. Viel wichtiger ist es mir, den Menschen zu erleichtert, sich durch eigenen Einsatz, Schritt für Schritt, aus einer Bedürftigkeit herauszuarbeiten. Ganz konkret halte ich die Hinzuverdienstgrenzen beim Arbeitslosengeld II für skandalös ungerecht.

Das wird die Straßenzeitungsverkäufer freuen, die Hartz IV beziehen. Wie stehen Sie zur Forderung, den Freibetrag beim Zuverdienst von jetzt 100 Euro auf 400 Euro anzuheben?
Genau das ist unsere Forderung. Jeder, der einen Euro hinzuverdient, muss mehr als die Hälfte davon behalten können. Übrigens muss auch die Höhe des Minijobs angepasst werden. Denn wenn der Mindestlohn steigt, haben viele Betroffene dennoch nicht mehr Geld, wenn es bei 450 Euro bleibt. Die müssen stattdessen die Arbeitszeit reduzieren, das bremst Aufstiegschancen. Deshalb sollte die Höhe des Minijobs immer das 60fache des jeweiligen Mindeststundenlohns betragen. [...]