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„Alles erlebe ich intensiver“

Wohnen auf Wagenplätzen – Menschen, die sich für diese Lebensform entschieden haben, zeigen ein heterogenes Bild: Lehrer, Pfleger, Sanitäter, Akademiker, Handwerker, Künstler, Arbeitslose, Wohnungslose. Es sind Singles, Familien mit Kindern, Alleinerziehende, Queere… Komfort oder gar Luxus sind für sie relative Begriffe. Etwas mehr als zehn Wagenplätze gibt es in Leipzig mit insgesamt rund 300 Bewohnerinnen und Bewohnern, die in Bau- oder Lastwagen leben. Was bewegt sie zu dieser Lebensweise, die Außenstehende oft nur mit Aussteigertum assoziieren? Schauen wir uns in Plagwitz bei karl helga e.V. um.

Text & Foto: Björn Wilda

Die Basstuba ist der Blickfang auf der Veranda von Funny. Das Blasinstrument ist nicht einfach nur Zier, der 32-Jährige spielt in seiner Freizeit in einer Bläsercombo und ist immer dabei, wenn Konzerte oder andere Veranstaltungen innerhalb und außerhalb des Wagengeländes organisiert werden. Hinter der Veranda Marke Eigenbau schließt sich der Wohnwagen an, es wirkt fast wie eine Gartenlaube. Nur dass Funny hier ständig wohnt – wie rund 40 weitere Nutzerinnen und Nutzer sowie elf Kinder auf dem Wagenplatz an der Klingerstraße. Eins der Kinder ist Funnys Sohn, der in diesem September eingeschult wird. Für ihn gibt es einen eigenen Raum als Kinderzimmer, der sich ebenfalls der Veranda anschließt. Die Eltern leben getrennt, und so ist der Sohn mal beim Vater, mal bei der Mutter, die in einer „normalen“ Wohnung lebt.

Funny hat sich Kaffee aufgebrüht und greift nach der nächsten Zigarette. Die blaugefärbte Haartolle fällt ihm bis zur Nasenwurzel. Zwischen FC St. Pauli-Banner und buntgemusterter Tischdecke sitzend mag dies gerade den Bogen spannen für ein Leben zwischen Unangepasstheit und Alltagsnormalität. „Seit über acht Jahren wohne ich hier draußen, ein Leben in einer Stadtwohnung würde mich einengen“, begründet der ausgebildete Laborant seine Wahl. Nach seiner Lehre war er von der Nordseeküste aus erstmal zwei Jahre auf Reisen mit dem Wohnmobil unterwegs, bis es ihn nach Leipzig verschlug, verschiedene Wagenplätze wie den am Fockeberg besichtigte und dann Platz an der Klingenstraße fand. Jetzt sei er im Naturschutz aktiv und arbeite als Selbständiger in der Umweltbildung. Die Natur hat er jeden Tag direkt um seinen Wohnwagen. Pappeln, Birken und Büsche bieten gerade jetzt im Sommer angenehmen Schatten. „Alles erlebe ich intensiver“, fährt Funny fort. „Ich höre das Rauschen der Bäume, die Tropfen des Regens, das Raunen des Windes.“ Das könne keine Wohnung mit ihren Beton- oder gemauerten Wänden bieten, „da käme ich mir vor wie in einem Käfig“, so Funny. Er hat ein Gemüsebeet angelegt, und ein paar Hühner scharren im Boden. Etwas abseits, im Rücken der Veranda, ist unter einer Plane Brennholz geschichtet, der Vorrat für den Winter. Geheizt werde außerdem mit Rindenmulch und Holzbriketts, die geordert werden. Nur der Raum für den Sohn werde mit Propangas beheizt, erklärt Funny. [...]