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Nur ein Ortswechsel?

Privileg Reisen?

Reisen bzw. unterwegs sein ist seit jeher auch mit armen und obdachlosen Menschen verbunden. Landstreicher, Vagabunden, Fahrendes Volk sind etwa historische Begriffe, die verschiedene Bevölkerungsgruppen der Unterschicht bezeichneten und signalisierten, dass diese Menschen Reisende sind (oder sein sollen), was sie gleichsam aus der ansässigen Gesellschaft ausgrenzte. Auch einige unserer Verkäufer/innen reisen: Manche verkaufen z.B. hin und wieder auch in anderen Städten die dort ansässigen Straßenmagazine, andere fahren regelmäßig zu ihren Familien nach Rumänien. Wenige sparen sogar auf kleine Urlaube. Wir sprachen mit zwei KiPPEVerkäufern über ihr Verhältnis zum Reisen und die Möglichkeiten, die aktuell das 9-Euro-Ticket bietet.

Text: Sandy Feldbacher & Foto: CFM


Thomas „Tommy“ Bach verkauft die KiPPE am Connewitzer Kreuz. Zum Reisen fallen ihm nur positive Aspekte ein: Freiheit, schöne Erlebnisse, Neues entdecken. Man müsse es sich jedoch leisten können. Mit seiner Frau Roswitha, die im vergangenen Jahr überraschend verstorben ist, habe er immer eisern gespart, auch mit Hilfe des KiPPE-Verkaufs, um sich ein paar Tage Urlaub in Deutschland oder den Nachbarländern leisten zu können. Auf diese Weise waren sie schon in Polen, Tschechien, der Slowakei, Österreich und Frankreich. Am besten habe es ihm bislang in Bratislava gefallen, wo er 2020 mit Roswitha war. Wichtig sei ihm, dass er nicht als typischer Tourist, womöglich in einer Reisegruppe unterwegs sei, sondern sich die Orte individuell erschließe: „Wenn ich auf der Straße in der jeweiligen Landessprache nach dem Weg gefragt werde, weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe“, erzählt er. Auch Verkäufer Peter Bosch, der die KiPPE in der Innenstadt anbietet, hat in den letzten Jahren immer mal auf kleine Reisen nach zum Beispiel Schleswig-Holstein, Frankreich oder Gran Canaria gespart. Hilfreich war hierbei, dass er aufgrund einer Sehbeeinträchtigung einen Schwerbehindertenausweis habe, mit dem er kostenlos Bahn fahren könne.

Auch wenn Tommy seine Frau beim Reisen sehr fehle, möchte er es nicht aufgeben. Und so plant er momentan eine Reise an die polnische Ostsee mit einem Bekannten vom Connewitzer Kreuz und ist gespannt, wie das funktioniert. Mit Roswitha hatte er eigentlich noch einen Trip ins Baltikum geplant, auf den spare er gerade, denn im Vergleich zu vor ein paar Jahren sei das Reisen – auch in einfache Unterkünfte – sehr teuer geworden. Doch diese Reise sei ihm als eine Art Vermächtnis seiner Frau wichtig: „Sie wird dann in Gedanken bei mir sein“, sagt er. [...]