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Welche Rechte haben Obdachlose?

Laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe leben in Deutschland mehr als 45 000 Menschen obdachlos auf der Straße. Das bedeutet, 45 000 Menschen haben keinen abgeschlossenen Mietvertrag für eine Wohnung und leben unterkunftslos, menschenunwürdig und mit vollkommen unzureichendem Schutz. Doch ist das überhaupt rechtens? Und welche Rechte haben Obdachlose eigentlich generell?

Text: Jonas Schilberg & Foto: MART PRODUCTION / Pexels

Zuerst einmal: Schlafen auf der Straße ist in Deutschland legal. Ebenso in fast allen europäischen Ländern, lediglich Ungarn hat das Obdachlossein und folglich auch auf der Straße schlafen, zum Ärger vieler zur Straftat erklärt. Beim Thema Betteln allerdings gibt es tiefgreifende Einschränkungen und Gesetze. So ist zwar grundsätzlich das sogenannte „stille Betteln“, also die passive Art, seit 1974 in der Bundesrepublik erlaubt, die Bettler müssen sich aber an klare Vorschriften halten. Beispielsweise dürfen sie den Passanten keine falschen Lebensumstände vortäuschen, sie dürfen sich also etwa nicht blind stellen oder vorgaukeln, ausgeraubt worden zu sein, wenn dies nicht der Wahrheit entspricht (§ 263 StGB). Ebenso verboten ist das Betteln in Gruppen (§ 14 Abs. 1 OWiG), das Betteln unter Bedrängen (§ 240 StGB) bzw. „aggressives Betteln“ mitsamt Anfassen oder gar Festhalten der Passanten (§ 118 und § 119 OWiG) sowie das Betteln mit Kindern (§ 5 JArbSchG) und – vielerorts – mit Tieren. Mindestens der letzte Punkt wird jedoch – mit Blick in die Leipziger Innenstadt – wohl kaum eingehalten. Der ebenfalls gesetzlich verankerte Punkt, Einkünfte des Bettelns seien in Deutschland steuerfrei, jedoch nur, wenn kein „gewerbsmäßiges Betteln“ besteht, dann sei dieses gemäß § 15 EStG zu besteuern, kann man durchaus zynisch finden. Letztendlich obliegt jeder Kommune die Möglichkeit, zusätzliche, eigene Verordnungen zu erlassen und beispielsweise „Bettelverbotszonen“ einzuführen.

Begibt man sich in eine Diskussion über Obdachlosigkeit, fällt oft das Argument, Obdachlose könnten doch einfach Hartz IV beantragen und es wäre alles geklärt. Stimmt das? Haben Obdachlose Anrecht auf Arbeitslosengeld 2, wie der Fachbegriff lautet? Nun ja, zum Teil. Theoretisch ist für die Beantragung von Hartz IV weder ein fester Wohnsitz, noch eigenes Konto erforderlich. Obdachlose können sich an das Jobcenter ihres letzten festen Wohnortes wenden, um dort Hartz IV anzufordern (§ 9 SGB 2). Die Kehrseite der Medaille zeichnen jedoch nicht nur Unmengen von Bürokratie, der antragstellende Obdachlose benötigt auch einen Personalausweis. Diesen besitzen aber viele nicht mehr. Es lässt sich zwar ein neuer Ausweis beantragen, hierbei helfen unter Umständen sogar Sozialarbeiter der Wohnungslosenhilfe, doch auch das bedeutet wieder viel Bürokratie und Aufwand. Für den Antrag auf Hartz IV ist ein Gang ins Jobcenter erforderlich. Dort sind allerdings laut Hausordnung Tiere verboten. Für viele Obdachlose ist das Tier jedoch der treueste Freund, wie u. a. das Fazit einer Diplomarbeit von Saskia Moos lautet und es auch andere Experten beurteilen. Infolgedessen widerstreben sie sich also, das Jobcenter zu betreten, um Hartz IV zu beantragen. [...]