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Expressozine: Texte über Kaffee & die Welt

Expressozine ist ein Geschichtenblog. Im Mittelpunkt steht J., ein Kaffeefreund und Zweifler. Die Autoren sind Jakob Semmer und Julian Fuhrmann. Während der Pandemie begannen sie das gemeinsame Schreibprojekt, das ursprünglich als literarische Verarbeitung von besonders guten oder schlechten Café-Erlebnissen angedacht war. Bedingt durch ihre Wohnorte Leipzig und Parchim spielen die Stories mal in der Messestadt und mal in Mecklenburg-Vorpommern. Sie selbst bezeichnen ihre Geschichten als „heiter, bissig und nachdenklich“. Lesen kann man sie auf expressozine.org und ab sofort aller zwei Ausgaben in der KiPPE.
Den Beginn macht die turbulente vierte Geschichte des Blogs.

Wochenende in Mecklenburg. Auf der Suche nach einer veganen Milch für seinen Kaffee zettelt J. eine Revolte an.

J. weiß auch nicht, was ihn immer wieder auf die Gassen seiner Kleinstadt treibt. Aber warum auch nicht dem Sog nach Frischluft nachgeben, wenn in den eigenen vier Wänden drei der vier von malerischem Schimmel verziert sind, das Laminat aus den 90ern sich wölbt und die Frischwasserzufuhr im Bad so spärlich plätschert, dass von einer Zufuhr im Grunde nicht die Rede sein kann. Der Abfluss saugt die verirrten Tropfen gierig wieder auf und J. muss sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Körpergliedern unter den Hahn pressen, um auch etwas von dem kühlen Nass abzukriegen. Seine Vermieterin ruft einmal die Woche an und erkundigt sich, ob alles in Ordnung ist. J. verweist dann darauf, dass er dieser Frage schon bei ihrem letzten Anruf einen negativen Bescheid ausstellen musste, schließlich seien drei seiner vier Wände von Schimmel zerfressen, und die Frischwasserzufuhr im Bad könne im Grunde nicht als… die Vermieterin legt dann immer auf und meldet sich pünktlich eine Woche später wieder. Sie hat es auch nicht leicht und zurzeit besonders viel zu tun. J. seufzt. Die Lage scheint vertrackt. Sein Geist ist schon seit einigen Tagen seltsam belastet, schwerfällig, und wird ständig von einer penetranten Unruhe heimgesucht, die ihm zuflüstert, sich zu penetrieren.

Die Milch ist alle. Kaffee trinkt unser Cowboy ohne Lasso selbstverständlich nur mit dem Schuss Weiß. Er erinnert sich an den Vorschlag seiner Kollegin, zur Verringerung Methan flatulierender Kühe mal einen neuen Milchersatz aus Erbsen auszuprobieren, und schnurstracks steht J. auch schon im Drogeriefachgeschäft Rossmann, seines Zeichens kulturelles Epizentrum des Landkreises. Hier trifft man sich. Das zahlt sich auch für den charmanten Pionier des Drogeriemarkts aus und J. denkt an ein Interview mit Herrn Rossmann, in dem dieser auf die Frage, wie es sich anfühle, Milliardär zu sein, grinste und antwortete, er esse gerne Bratwurst und die koste nur 3,50. J. stand vor seinem Radiowecker in der Küche und in ihm kam der unbändige Wunsch auf, Herrn Rossmann kräftig in den Briefkasten zu scheißen, doch aus Geiz und Mangel an Alternativen sieht er sich gezwungen, dem Herrscher über die Welt der Handcremes treudoof Geld statt Kot zukommen zu lassen. [...]