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Schlafen, erleben, wünschen

Schlaflos in Leipzig

Eine „Traumstadt“ ist nicht nur der Ort, an dem man sich hinwünscht – es kann auch bedeuten: die Stadt im Zustand des Träumens seiner Bewohner, die nächtliche Welt. Ich stelle mir vor, dass die Städte und Dörfer ihre eigenen Traumgeographien haben, dass sie im Schlaf zu ganz eigenen Körpern werden, die sich aus den Träumen der Menschen ergeben – höchst volatile Gestalten müssen das sein, wolkenartige Wesen, eine Art nächtlicher Schwarmintelligenz. Vielleicht kommunizieren die Träume ja auch untereinander, so wie es die Bäume tun.

Text: Elmar Schenkel & Foto: Archiv


1954 sendete die BBC ein Hörspiel, das dann zum bekanntesten in der Geschichte des Rundfunks wurde: „Unter dem Milchwald” (von Erich Fried übersetzt). Dylan Thomas, der walisische Dichter, von dem sich Bob Dylan seinen Namen lieh, erzählt darin von den Träumen und Gedanken, die ein nächtliches Dorf durchweben. Ein solches Bild könnte man auch von Leipzig und von anderen Städten zeichnen – was für ein buntes Muster das gäbe! Albträume, komische Eskapaden, Absurditäten, verkorkste Prüfungen, verpasste Züge, gar Heilschlaf… Hier nur erste Schritte dahin: die Träume und Schlaflosigkeiten einiger bekannter Geister, die Leipzig besuchten oder in der Stadt wohnten.

Oder Ideen, die vom nächtlichen Leipzig ausgingen. Nehmen wir die Homöopathie. Sie verdankt sich den durchwachten Nächten eines Mediziners in Stötteritz im Jahre 1790. Hier übersetzte Samuel Hahnemann (1755–1843) ein Kapitel des schottischen Mediziners William Cullen über die Wirkung der Chinarinde gegen Malaria. Hahnemann ist nicht einverstanden mit dessen Erklärungen und unternimmt nun einige Tage lang ziemlich heftige Selbstversuche mit Chinarinde. Er führt dadurch ein Wechselfieber herbei. Daraus folgert er, dass hier Gleiches mit Gleichem behandelt werden kann – das Grundprinzip der Homöopathie. [...]